Die Kinder sind Könige
De Vigan, Delphine
Aus dem Französischen von
Doris Heinemann
Roman
DuMont Buchverlag, 2022
ISBN: 978-3-8321-8188-8
315 S.
Darum geht's: Mélanie Claux ist eine Momfluencerin. Sie hat gemeinsam mit ihrem Mann und ihren beiden Kleinkindern ein virtuelles Imperium aufgebaut, Happy Récré genannt. Millionen Follower*innen sehen sich täglich die Videos auf dem erfolgreichen YouTube Kanal an. Angefangen hat es damit, dass Mélanie ihre Kinder Spielsachen vor der Kamera auspacken ließ. Immer mehr Menschen folgten dem Kanal und damit kamen schließlich auch immer interessantere Werbeverträge und Kooperationen. Nicht zuletzt mit Unternehmen wie Disney oder McDonalds.
Zu Beginn waren die Kinder so klein, dass sie das Spiel einfach aufrichtig mitspielten. Geschenke auspacken ist schließlich immer cool. Vor allem die kleine Kimmy ist der Star des Kanals. Die Follower*innen lieben es, wenn sie als Elsa verkleidet Geschenke auspackt und verzückt von den Spielsachen ist. Und unzählige Mädchen im ganzen Land möchten sein, wie sie. Ihr Bruder nimmt hin, dass er die Nummer zwei ist, mach brav, was zu machen ist, denn er will weder Kimmy die Show stehlen noch seine Mama enttäuschen. So geht das einige Jahre. Als Kimmy sechs Jahre alt ist, verändert sich etwas an ihr. Mélanie filmt das eigenartige Verhalten ihrer Tochter, lacht öffentlich darüber und tut es als Laune ab. Doch aufmerksame Zuseher*innen merken, dass Kimmy nicht mehr richtig bei der Sache ist. Die Kinder sind mittlerweile sehr abgeschottet von anderen Kindern, besuchen eine Privatschule und dürfen selten mit anderen spielen. An einem Nachmittag erlaubt Mélanie, dass sie im Hof der Wohnanlage mit ein paar anderen Kindern verstecken spielen, doch plötzlich ist Kimmy spurlos verschwunden. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt und während Kimmys Abwesenheit wäre es an der Zeit, das Influencer Leben der Familie zu hinterfragen. Ihr Mann beginnt auch schon damit, aber Mélanie will davon nichts wissen. Sie ist sich sicher: Alle beneiden sie um ihr wundervolles Leben. Alle lieben sie. Sie sind die glücklichste Familie der Welt.
"Im Laufe der Zeit war aus Mélanie Claux Mélanie Dream geworden. Ihr Image war zugleich glamourös, feenhaft und hausfraulich, wobei sie die jeweiligen Codes geschickt mischte.Doch Mélanie blieb vor allem Kims und Sams Mutter. Eine feenhafte Maman, die für das Glück ihrer Kinder sorgte." (S. 193)
So geht's mir dabei: Diese Geschichte hat mich schnell in ihren Bann gezogen, weil ich das Thema so irrsinnig spannend fand. Dementsprechend schnell habe ich das Buch gelesen. Ich wollte unbedingt wissen, wie die Geschichte ausgeht, wer hinter dem Verschwinden der Tochter steckt und vor allem, was der Mutter noch alles einfällt und ob Mélanie Dream eventuell noch irgendwann aufwacht.
Um ehrlich zu sein hat mir der nüchterne Schreibstil nicht sehr gut gefallen und gerade am Anfang, war ich sehr distanziert gegenüber der Geschichte. Auch gingen mir verschiedene Beschreibungen, die gar nichts zur Geschichte beitragen konnten auf die Nerven und ich finde, der Bogen hätte nicht wirklich von Mélanies Jugend bis zum Erwachsenwerden der Kinder gespannt werden müssen. Es wird recht ausführlich erklärt, dass der Auslöser der ganzen Influencer-Geschichte auf Big Brother zurückzuführen ist und das hat mich eigentlich gelangweilt. Hingegen war mir der Teil, als Kim und Sam dann erwachsen sind wieder zu kurz, zu wenig tiefgehend und zu abrupt zu Ende. Wenn das schon angeschnitten wird, dann hätte ich es lieber genauer gewusst.
Dennoch lässt mich die Geschichte nicht los. Emotional hat mich das Buch fürchterlich aufgewühlt, weil ich einfach nur unfassbar finde, was Mélanie abzieht. Was sie selbst macht kann man mögen oder nicht, gutheißen oder wegklicken. Aber was sie mit ihren Kindern anstellt und wie viele Menschen das sehen....da fehlen mir die Worte. Vor allem natürlich deshalb, weil es so brisant ist. Mir sind ständig Accounts eingefallen, die ihr Leben so ausbreiten vor einer Öffentlichkeit, die zwar bei weitem nicht so groß ist, aber einige Tausend sind es dann doch, die zusehen. Und wo auch die Kinder immer wieder zu sehen sind. Und ich finde es jetzt noch fürchterlicher und vor allem finde ich diese präsentierten "Leben" noch unwirklicher als vorher schon. Ich habe meinen Account durchsucht. Die vier/fünf Kinderfotos, die meine Kids von der Seite oder von hinten gezeigt haben, sind nun gelöscht und es wird auch keines mehr zu sehen sein von ihnen.
Restlos entsetzt war ich heute, als ich für die Rezension den Namen Happy Récré in Google eingegeben habe und die YouTube Videos angesehen habe, die mir vorgeschlagen wurden. Das ist mir wirklich zuwider.
Geht's kurz und knapp: Ein brandaktuelles Buch, das hervorragend in unsere Zeit passt und definitv einen wichtigen Beitrag zum Thema Kinderbilder/-videos auf Social Media leistet.
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