Wir holen alles nach
Borger, Martina
Roman
Diogenes Verlag, 2020
295 S.
ISBN: 978-3-257-07130-6
Darum geht's:
Sina ist seit der Scheidung eine alleinerziehende Mutter, die versucht, Job und Kind und ihre neue Beziehung zu händeln.
Ellen ist bereits in Pension und bessert sich ihre Rentenzahlung durch Zeitung austragen und Nachhilfestunden geben auf. Auch Elvis, Sinas Sohn, kommt zu Ellen um Nachhilfestunden zu konsumieren und seinen Notendurchschnitt zu verbessern. Schließlich soll er bald ein Gymnasium besuchen und nicht in eine Realschule gehen.
Als Sinas Exmann wieder einmal kurzfristig einen geplanten Aufenthalt seines Sohnes bei ihm absagt, muss sie sich etwas einfallen lassen. Wo kann sie Elvis in den kommenden 14 Tagen betreuen lassen? Sie hat zwar seit ein paar Monaten einen neuen Freund, Torsten, der sich auch gut mit dem Jungen versteht, aber dieser tritt just in der kommenden Woche eine neue Arbeitsstelle an. Nur am Wochenende, an dem Sina auch noch Überstunden machen muss, kann er sich um Elvis kümmern. Sie machen einen Ausflug, gehen zelten. Den Sonntag verbringt der Junge bei einem seiner Freunde.
Die restlichen 14 Tage hat sich Ellen bereit erklärt, das Kind zu betreuen. In dieser Zeit wächst ihr Elvis richtig ans Herz. Er fühlt sich sehr wohl bei Ellen, genießt ihre Geduld und die viele Zeit, die sie für ihn hat und vor allem ihren Hund.
"Dann kommst du am Montag vielleicht ein bisschen später?" "Nein", sagt Elvis, "ich hab schon gesagt, dass ich pünktlich bei dir sein will." (...)Ellen ist selbst überrascht, wie sehr es sie freut, dass er nichts von der Zeit mit ihr verpassen will.Sie schließt den Laptop und steht auf. "Das ist schön. Ich glaube, ich würde dich sonst auch vermissen. Soll ich dir jetzt vorlesen?" (S.98)
Nach dem Wochenende fallen Ellen mehrere blaue Flecken an dem Jungen auf und sie hat eine schreckliche Vermutung. Elvis wahrt sein Geheimnis und erklärt niemandem, woher diese Verletzungen kommen. Als die Schule wieder losgeht und auch den Lehrern im Sportunterricht auffällt, dass das schüchterne Kind offenbar misshandelt wird, kommt ein Verdacht zum Anderen und werden Beschuldigungen vorgenommen, die sich Sina nicht vorstellen kann. Und doch....wann kann man schon wirklich in einen anderen Menschen hineinschauen?
So geht's mir dabei: Ein spannender Roman mit Charakteren, die zum Leben erwachen und einem ans Herz wachsen. Das Buch liest man unglaublich schnell durch, weil man unbedingt wissen will, was und wer hinter diesen Misshandlungen steckt. Die Leser lernen dabei die Protagonisten sehr gut kennen und können sich selbst nicht vorstellen, dass einer oder eine von ihnen dem Buben etwas antun könnte. Dieses Geheimnis will man lüften, also liest man weiter und weiter und weiter. Auch wenn die Uhr tickt und der Abend immer später wird und man eigentlich dringend schlafen sollte. :-D
Ein paar Defizite hat das Buch, sprachlich und inhaltlich. Die sprachlichen stören bestimmt bei weitem nicht jede:n. Das ist so eine Sache, die ich nicht mag, wenn Romanfiguren eigentlich mitten in einem Dialog stecken und dazwischen über ihr halbes Leben nachdenken. Mir kommt immer vor, das Gegenüber, das ja vermeintlich auf eine Antwort wartet, muss dann mal locker eine viertel Stunde in die Luft starren, bis diese kommt, wenn in der Zwischenzeit soviele Gedanken Raum brauchen. :-) Keine Ahnung ob irgendwer grad versteht, was ich damit meine. :-D
Inhaltlich stört mich die Tatsache, dass die Mutter dieser Art Verletzung bei ihrem Sohn nicht sofort in dem Ausmaß nachgeht, dass es sich aufklärt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man das einfach mal auf sich beruhen lässt und abwartet. Für die Geschichte war das natürlich wichtig. Aber das hat mir nicht gepasst.
Das sind aber auch schon die einzigen (kleinen) Kritikpunkte an dem Buch. Insgesamt hat es mir sehr gut gefallen und ich mag auch das Ende sehr.
Geht's kurz und knapp? Ein spannender Roman, den ich jederzeit weiterempfehlen werde.
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Vielen Dank an den Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar.
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