Die Bücherdiebin
Zusak, Markus
Die Bücherdiebin
Darum geht's: Die Geschichte von Liesel Meminger führt uns nach Molching, einem kleinen Vorort von München, zur Zeit des zweiten Weltkrieges. Liesel kommt hier zu Pflegeeltern. Geplant war, dass sie und ihr Bruder Werner zu Hans und Rosa Hubermann kommen, doch Werner stirbt auf der Fahrt dorthin. Das 9 jährige Mädchen wird alleine bei den Hubermanns abgegeben, in der Hoffnung, hier ein gutes Leben zu haben. Sie baut eine Beziehung zu ihren Pflegeeltern auf, die sie auch bald 'Mama' und 'Papa' nennt. Ihr Papa sitzt jede Nacht stundenlang bei ihr, um sie nach ihren Albträumen zu trösten und ihr Halt zu geben.
Mit den Nachbarskindern freundet sie sich schnell an und Rudi Steiner wird ihr bester Freund. In dem kleinen Dorf führt sie soweit kein schlechtes Leben. Doch der Krieg dauert an und es wird immer härter. Ihre Pflegeeltern verlieren immer mehr Teile ihres ohnehin bescheidenen Einkommens und die Rationierungen werden immer mehr. Bald spüren sie die Auswirkungen des Nazi-Regimes am eigenen Leib. Und dass ein Jude plötzlich in der Küche der Hubermanns steht und um Unterkunft bittet, macht den Alltag nicht gerade leichter....
Bei der Beerdigung ihres Bruders stiehlt Liesel ihr erstes Buch. Es liegt scheinbar herrenlos im Schnee und sie nimmt es mit. Dieses Buch stellt für sie die einzige Verbindung zu ihrem verstorbenen Bruder und ihrem alten Leben her. Gemeinsam mit ihrem Papa liest sie Nacht für Nacht darin, wenn der Albtraum wieder da war. So lernt sie lesen und entwickelt eine Affinität zu Büchern. Es folgen noch weitere Bücher, die sie stiehlt. Und immer helfen die Bücher, das Lesen, das Vorlesen, das Zuhören in den schwierigsten Situationen. Sie spenden Trost, aus ihnen wird neuer Mut geschöpft. Nicht zwingend wegen dem Inhalt der Geschichten, auch einfach durch das Vorlesen und auch durch die damit verbundenen Besuche.
So geht's mir dabei: Wie soll es einem gehen, wenn man eine Geschichte liest, die im zweiten Weltkrieg stattfindet. Man weiß: es geht nicht gut aus. Man weiß: es ist keine Fiktion. Man weiß nicht: Was war nur los mit den Menschen? Man weiß noch viel weniger: Was ist eigentlich immer noch los mit den Menschen?
Viele Bücher habe ich schon gelesen über diese dunkle Zeit. Immer haben sie mich berührt. Dieses hat mich tief getroffen. Ich musste es immer wieder weglegen, weil ich emotional nicht stark genug bin, um mich ganz auf die Geschichte einzulassen. Seit ich selbst Mutter bin, halte ich es beinahe gar nicht mehr aus, von Kindern zu lesen, die Leid erleben. Liesels Leid ist nicht zu ertragen. Es lähmt mich. Als ich das Buch geschlossen habe, war mir übel.
Erzählt werden die Ereignisse aus der Sicht des Todes und in einer Sprache, als würde er ein Märchen erzählen. Dies auch deswegen, weil es als Jugendbuch geschrieben wurde. Für mich hat diese Art des Erzählens etwas von dem Schrecklichen wieder wett gemacht und es gleichzeitig teilweise ins Unerträgliche verstärkt. Weil hier in einer ungeschönten und glasklaren Sprache gesagt wird, wie es war. Das macht einen einfach nur traurig und lässt ein unglaubliches Entsetzen über die Abscheulichkeiten der Menschen zurück.
Der Tod als Erzähler greift manchmal in der Geschichte voraus und macht bereits Andeutungen auf deren Ausgang. Das macht es spannend und andererseits will man eigentlich nicht mehr weiterlesen, weil man nicht möchte, dass kommt, was er vorhersagt.
Zusak spielt in jeder erdenklichen Weise mit dem Bild von der Macht der Worte. Er zeigt auf, dass Hitler ohne Worte nicht groß werden hätte können, dass es ohne Worte diesen Krieg nicht gegeben hätte, dass den Menschen die Worte gefehlt haben und jenen, die Worte einsetzten, bitterliche Strafen blühten. Worte heilen in diesem Roman einen kranken und bewahren ihn vor dem Tod und sie trösten ein kleines Mädchen,das alleine zu fremden Menschen kommt. Durch Worte entstehen neue Beziehungen und in einem Luftschutzkeller nehmen Worte die Angst der Menschen entgegen.
"Wenn er ihn nicht verabscheut hätte, hätte er sich vielleicht nicht ein paar Wochen später auf seinen Platz gesetzt, als sie auf einer scheinbar harmlosen Straße unterwegs waren.Sogar der Tod findet noch so viele Worte.
Ein Sitzplatz, zwei Männer, ein kurzer Streit und ich.
Es bringt mich schier um, wie manche Menschen sterben." S. 498
Ein zentraler Aspekt dieses Romans für mich: Ich glaube, dass niemand mehr nach dieser Lektüre seine Vorfahren vorwurfsvoll fragen kann: Warum habt ihr nichts dagegen getan? Warum habt ihr dabei untätig zugesehen?
Ich denke, in "Die Bücherdiebin" findet man die Antworten darauf. Antworten die einen bis ins Mark treffen.
Das Buch ist in seiner Originalausgabe übrigens fast 15 Jahre alt. Für mich ist es ein moderner Klassiker, der nicht an Aktualität verliert.
Im Gegenteil.
Leider.
Geht's kurz und knapp? Das Buch ist sehr gut, das Thema sehr aufwühlend und schwer und traurig. Aber: Nur weil wir nicht darüber lesen, bedeutet es nicht, dass es nicht geschehen ist.
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